Der Wandel der Arbeit ist für alle spürbar, in den Zeiten der Corona-Krise wahrscheinlich sogar deutlicher als je zuvor. Über die Bedeutung und die Folgen dieser Veränderungen habe ich mit Prof. Dr. Markus Hertwig gesprochen. Er ist Leiter derProfessur “Soziologie mit Schwerpunkt Arbeit und Organisation” an der TU Chemnitz. Mit seiner Forschungsgruppe “Perspektiven der Digitalisierung” befasst er sich u. a. mit aktuellen sozialen Herausforderungen, die im Zuge der zunehmenden Digitalisierung vieler gesellschaftlicher Bereiche und insbesondere der Arbeitswelt entstehen. Dabei untersucht er die Einflüsse digitaler Technologien und Organisationsmodelle auf Unternehmen und Erwerbssysteme. Der Wandel der Arbeit – Interview mit Prof. Dr. Markus Hertwig.
Beginnen wir mit einer eher rhetorischen Frage. Warum arbeiten wir Menschen eigentlich?
Das ist tatsächlich sogar eine sehr gute und relevante Frage. Sie haben recht, die meisten Menschen würden sicherlich sagen, aber es ist notwendig, um Geld zu verdienen. Das entspricht auch dem landläufigen Fokus auf eine besondere Form der Arbeit, nämlich auf Erwerbsarbeit. In der Soziologie verwenden wir in der Regel einen weiteren Arbeitsbegriff, der Arbeit als Ziel gerichtete, in der Regel mühevolle Tätigkeit begreift, die aber nicht zwangsläufig monetär entlohnt sein muss. Erst dann wird ersichtlich, dass es sich bei vielen unserer Tätigkeiten um Arbeit handelt, auch wenn wir sie nicht für Geld machen, wie zum Beispiel Hausarbeit, das Ehrenamt, Weiterbildung neben dem Beruf, Kindererziehung oder die Pflege von Familienangehörigen.
Dann kann man Arbeit eigentlich nicht vom Menschen trennen?
Richtig, man könnte sagen: Arbeit ist etwas grundlegend menschliches, eine naturgegebene Grundkonstante.
“Dass wir aber nach Selbstverwirklichung in der Arbeit streben, ist noch ein vergleichbar neues Phänomen.”
Welche Bedeutung hatte Arbeit vor 25 Jahren?
Arbeit hat sich sicherlich gewandelt. Ob sich die Bedeutung aber so stark gewandelt hat, da bin ich mir gar nicht sicher. Denn nach wie vor sind die allermeisten Menschen auf abhängige Erwerbsarbeit angewiesen, darüber erhalten sie nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern auch ihren Platz in der Gesellschaft, Anerkennung und Status. Das war vor 25 Jahren nicht anders.
Was bedeutet uns Arbeit heute?
Die Ansprüche der Arbeitenden an ihre Arbeit haben sich gewandelt. Dass früher Menschen den Beruf ihres Vaters ergriffen, daran können sich viele gar nicht mehr erinnern. Dass wir aber nach Selbstverwirklichung in der Arbeit streben, ist noch ein vergleichbar neues Phänomen. Es gibt einige Untersuchungen, die zeigen, dass die unterschiedlichen Generationen – nennen wir sie Generation X, Y und so weiter – unterschiedliche Ansprüche an der Arbeit haben. Diese gehen über den reinen Gelderwerb weit hinaus. Man möchte sich einbringen, die subjektiven Fähigkeiten ausschöpfen, sich weiterentwickeln.
Im Zuge der Industrialisierung entstand die klassische Lohnarbeit wodurch Arbeit und Privatleben zeitlich und räumlich strickt getrennt wurden. Wie bewerten Sie diese Trennung mit Blick auf die heutigen Rahmenbedingungen?
Es ist ja interessant, dass gerade die Corona-Krise uns zeigt, was alles möglich ist im Hinblick auf neue Arbeitsformen, die auch die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben betreffen. Für viele Unternehmen war „Home-Office“ lange Zeit im wahrsten Sinne ein Fremdwort. Sie glaubten, dass sie die Kontrolle über ihre Beschäftigten verlieren oder Koordination erschwert wird. Tatsächlich arbeiten viele aber produktiver, wenn sie von zuhause aus tätig sind. Ob sich das nach der Krise fortsetzt, bleibt abzuwarten. Generell kann man aber sagen, dass die Trennung zwischen Arbeit und Privatem in manchen Sektoren schwindet, was Chancen, aber auch Risiken birgt.
“Immer mehr Wertschöpfung wird durch digitale Technik vermittelt.”
Wir sind aktuell eine von der Industrialisierung geprägte Gesellschaft. Was kommt aus Ihrer Sicht als nächstes?
Die Industrie ist nur scheinbar die Kernbranche der deutschen Gesellschaft, die Dienstleistungen haben sie ja schon lange überholt. Große Industrieunternehmen stehen aber nach wie vor im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit – auch weil so vielen Menschen betroffen sind, wenn es der Industrie nicht gut geht. Dann stehen schnell ein paar Tausend Arbeitsplätze auf dem Spiel. Innerhalb der Dienstleistungen werden aber sicher digitale Dienstleistungen immer mehr Bedeutung einnehmen, und das teilweise auch in Form großer Konzerne, wie wir das heute schon bei Apple oder Amazon sehen. Immer mehr Wertschöpfung wird durch digitale Technik vermittelt. Das wird aber weniger Jobverluste bedeuten, als angenommen, denn es entstehen ja neue Leistungen und Geschäftsmodelle.
Auch Ihnen möchte ich gern diese Frage stellen; Angenommen ich bin in meinem aktuellen Job unzufrieden und weiß nicht was ich ändern sollte. Was würden Sie mir raten?
Da gibt es verschiedene Alternativen. Zuvor werden Beschäftigte aber versuchen wollen, mit Vorgesetzten oder KollegInnen eine Änderung herbeizuführen. Sofern das nicht möglich ist, bleibt vielen nur die Suche über den Arbeitsmarkt. Ein Jobtausch wäre da eine interessante Option, die man in jedem Fall prüfen sollte.