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Wie viel ist genug? Ein Gastbeitrag von Coach Jörg Kühn

Wie viel ist genug? Ein Gastbeitrag von Coach Jörg Kühn

Inhaltsverzeichnis
Jörg Kühn hatte alles, was nach außen hin zu einem erfolgreichen Leben gehört. Er hatte einen gut bezahlten Job in einem großen internationalen Unternehmen, er war oft auf Reisen und lebte in einer wunderschönen Stadt in Asien. Dennoch fühlte er, dass etwas fehlte. Nach und nach erkannte er, was ihm wirklich wichtig ist. Daraufhin entschied er sich seine sichere Anstellung im Unternehmen zu verlassen und Coach für Führungskräfte zu werden. „Das zu erkennen erfordert eine emotionale und psychische Entwicklung.“ Er weiß also wovon er spricht, wenn er fragt: “Wie viel ist genug?”. Dazu sein Gastbeitrag.

Der Fischer und der Banker

Stell Dir folgende Situation vor: Du bist in einem Fischerdorf in Brasilien. Die Männer des Dorfes gehen jeden Tag mit ihren Booten hinaus aufs Meer, um zu fischen. Vom Verkauf des Fangs kann hier jeder gut leben aber keiner wirklich reich werden. Kein großer Profit, kein Stress beim Verteilen – im Dorf sind Alle gesund und psychischer Druck ist unbekannt. Natürlich bleibt dieses Idyll nicht lange unentdeckt und beginnt die ersten Touristen anzuziehen. Darunter auch Jack, ein Investmentbanker aus New York. Jack ist vom täglichen Lauf im Hamsterrad um Geld und Anerkennung müde geworden und sehnt sich nach einer Pause. Der junge aber schon sehr gestresste Banker nimmt sich also eine Auszeit, reist nach Brasilien und sieht dort eines Morgens einen Fischer von einem erfolgreichen Fischzug nach Hause zurückkehren. Stadtmensch Jack ist vom Anblick der reichen Beute begeistert und tritt fragend an den Fischer heran: „Wie lange dauert es so viele Fische aus dem Meer zu ziehen?“ Nun ja, antwortet der Fischer, eigentlich gehe es ziemlich schnell. „Warum bleibst du dann nicht länger auf See und fängst noch mehr?“ fragt Jack. Ohne zu zögern antwortet der Fischer: „Das ist genug, um meine Familie zu ernähren. Und es bringt mir selbst genug Geld ein, um so zu leben wie ich will.“

Und was machst du dann den Rest des Tages?

Für den auf Optimierung ausgerichteten Jack macht das überhaupt keinen Sinn und etwas verwirrt bohrt er weiter: „Und was machst du dann den Rest des Tages?“ „Ich spiele mit meinen Kindern, mache ein Nickerchen mit meiner Frau und wenn der Abend kommt, gehe ich ins Dorf und treffe meine Freunde. Wir trinken etwas, spielen Gitarre, singen und tanzen.“ Zufrieden Jack ist verblüfft. Zu einfach schien ihm dieser Lebensentwurf. Und zu viel brachliegende Möglichkeiten. Also macht er dem Fischer ein Angebot: „Ich bin Investmentbanker und mach aus dir einen erfolgreichen Unternehmer. Verbring einfach mehr Zeit auf dem Meer und du wirst viel mehr Fische fangen können. Von dem Gewinn kaufst du dir ein größeres Boot und kannst noch mehr Fische fangen. Am Ende wirst du eine ganze Flotte und eine Produktionsanlage für Fischkonserven besitzen. Du ziehst aus deinem Dorf nach Sao Paulo und leitest deine Geschäfte von dort aus weiter.“ Der Fischer hörte sich das alles aufmerksam an und fragte: „Und was kommt dann?“ „Dann wirst du an die Börse gehen und ein reicher Mann sein.“ „Und wie lange wird das dauern?“ „Ein paar Jahre harter Arbeit“ antwortet Jack und führt triumphal fort: „Aber dann kommt das Beste: du kehrst als gemachter Mann in dein Dorf zurück und genießt das Leben. Morgens wirst du ein bisschen Fischen gehen. Später wirst du mit deinen Kindern spielen und mit deiner Frau ein Nickerchen machen. Und zum Abend triffst du dich mit deinen Freunden auf einen Drink, spielst Gitarre, singst und tanzt.“ „Nun gut“ dachte der Fischer, „das ist ja exakt das was ich gerade mache“

Der typische Denkfehler des modernen Menschen

Diese Anekdote bringt nun schon seit vielen Jahren Menschen zum Nachdenken und wurde auch von Paulo Coelho und Heinrich Böll nacherzählt. Ihre Moral ist bis heute aktuell, denn sie erzählt auf ebenso einfache wie kraftvolle Weise von einem typischen Denkfehler des modernen Menschen. Viel arbeiten, um am Ende genau jenes einfache und mühelose Leben führen zu können aus dem man ursprünglich einmal entfliehen wollte. Dabei sollte es doch eigentlich so sein, dass das Glück an der täglichen Tätigkeit im Mittelpunkt stehen sollte und nicht ein irgendwo in der Ferne liegendes Glück. Hart zu arbeiten ist solange in Ordnung, wie es auch Spaß bringt und glücklich macht. Ohne diese Ingredienzien ist Arbeit nur Stress und macht krank. Wie hoch ist der Preis, den wir zahlen, um materiellen Wohlstand zu erreichen? Macht mehr davon auch automatisch glücklicher? Viele Menschen denken das nach wie vor, wobei längst klar ist, dass wir neben einem gewissen materiellen Wohlstand, genügend zu Essen, Gesundheit und einem Dach über dem Kopf auch noch andere Dinge brauchen. Und vielen ist es gar nicht klar, dass sie sich nach etwas sehnen und völlig konträr zu diesem Wunsch handeln. Der bekannte Autor Nigel Marsh fasst das Paradox in seinem Buch „Fat, Forty & Fired“ in wenigen Sätzen äußerst griffig zusammen. „Es gibt Tausende und Abertausende von Menschen, die ein Leben in stiller Verzweiflung führen. Sie arbeiten zu viele Wochenstunden in Jobs, die sie hassen, um sich Dinge zu kaufen die sie nicht brauchen, damit sie Leute beeindrucken können, die sie nicht mögen.“

Was ist also genug?

Und wie würdest du dein Leben verändern, um glücklicher zu sein, wenn du feststellst, dass das, was du brauchst, viel weniger ist als das, wonach du gerade strebst? Vielleicht ist es auch für Dich an der Zeit, morgens einfach ein paar Fische zu fangen. In meinem Beitrag Gesellschaftlicher Bedeutungswandel der Arbeit habe ich die unterschiedlichen Bedürfnisse anhand der maslowschen Bedürfnispyramide erklärt. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass man diese Ebenen auch verlassen kann. Dies wiederum erfordert die Bereitschaft zu Veränderungen.
Jörg Kühn

Jörg Kühn

„Ein Reichtum an Wissen auf dem Gebiet des Coachings … auch die Erfahrung des Lebens, Jörg liebt Menschen wirklich und ist sehr an ihnen interessiert, was ihn zu einem großartigen Coach macht.“

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Roland Gelzleichter
Roland Gelzleichter
3 Jahre zuvor

Gesellschaftlicher Bedeutungswandel der Arbeit?
Vor einigen Jahren war “Arbeit” eng verknüpft mit: Wertschöpfung.
Davon entfernen wir uns immer weiter und schneller durch die ungebremste
Zunahme von Inhabern von Bullshit-Jobs. Also den Wandel der Besatzung eines 8er Ruderbootes von 1 Steuermann und 8 Ruderern zu 8 Steuermännern und einem Ruderer. Und da nun das Tempo nicht erreicht wird beschließen die 8 Steuermänner: der einzelne Ruderer braucht mehr Training, mehr Coaching und mehr Motivation.

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