Befasst man sich näher mit dem Thema Fachkräftemangel, bekommt man im Netz mehr Gründe geliefert, warum das alles eine Lüge sein soll als zielführende Lösungsvorschläge. Zukunftsberechnungen über tausende offene Stellen werden den Machenschaften von Lobbyverbänden zugeordnet. Unbesetzte Stellen sind die eigenen Versäumnisse von Unternehmen. Wie lassen sich solche unterschiedlichen Interpretationen einordnen? Fachkräftemangel in Deutschland – alles eine Lüge? Oder doch nur der Versuch ein komplexes Thema mit einfachen Worten zu erklären?
Mythen des Fachkräftemangels
Je nachdem von welcher Seite aus man das Thema betrachtet, lassen sich unterschiedliche Anklagepunkte erkennen. Auf Seiten der Unternehmen werden die Rufe lauter, man finde keine geeigneten Angestellten mehr – es gibt zu wenig Fachkräfte. Unterschiedliche Verbände und Interessengemeinschaften legen Studien vor, die tausende unbesetzte Stellen in den nächsten Jahren prognostizieren.
Aus Sicht der Arbeitnehmer ist dies nur das Ergebnis einer gezielten Lobbyarbeit. Dadurch sollen junge Leute in die genannten Berufe gedrängt werden. Das wiederum führe zu einem Überangebot an Arbeitnehmern, was es den Unternehmen weiterhin ermögliche die Löhne niedrig zu halten.
Das gefährliche an diesen unterschiedlichen Vorwürfen ist die einseitige Sichtweise der jeweiligen Betroffenen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind aufeinander angewiesen, sie agieren in komplexen Strukturen und funktionieren nur miteinander. Und allein diese Tatsache verbietet es das Thema Fachkräftemangel mit einfachen Thesen zu beschreiben.
Grundlagen des Fachkräftemangels
Um die Situation genauer einschätzen zu können, ist zunächst eine grundlegende Betrachtung einiger Begrifflichkeiten erforderlich. So bedeutet ein Fachkräfteengpass, dass die Nachfrage nach geeigneten Fachkräften kurzfristig nicht bedient werden kann. Dauert diese Knappheit über einen längeren Zeitraum an, handelt es sich schließlich um einen Fachkräftemangel.
Weiterhin ist zu beachten, dass es keine allumfassende Kennzahl zur Bewertung der Lage gibt. Die Bundesagentur für Arbeit sowie das BMWi nennen lediglich unterschiedliche betroffene Branchen und Regionen. So sind z.B. in technischen Berufen, in der Baubranchen, in Pflege- und Gesundheitsberufen sowie in Süd- und Ostdeutschland Anzeichen eines Fachkräftemangels zu erkennen.
Zusammenfassend kann man jedoch sagen, in Deutschland herrscht ein Fachkräfteengpass. Eine ausführliche Erläuterung zur gegenwärtigen Situation ist im Beitrag „Fachkräftemangel in Deutschland – Eine grundlegende Betrachtung“ zu finden.
Symptom und Ursache
Bei der Diskussion über den Fachkräftemangel wird oftmals ein entscheidender Fehler gemacht, es werden Symptome als Argumente verwendet. Dabei treten die eigentlichen Ursachen des Fachkräftemangels in den Hintergrund. Es entsteht schnell der Eindruck, Unternehmen finden keine Mitarbeiter und irgendjemand muss helfen.
Um dieses Dilemma besser zu verstehen, stellt man sich am besten einen Boxkämpfer vor. Dieser hat eine recht erfolgreiche Zeit hinter sich. Er ist ehrgeizig, hat stets trainiert und die letzten Kämpfe allesamt gewonnen. Doch eines Tages steigt er als Verlierer aus dem Ring. Er konnte seinen Gegner nicht bezwingen.
Ist es nun richtig dem Boxer diese Niederlage zum Vorwurf zu machen? Ist es richtig ihm zu unterstellen, er hat im Kampf nicht alles gegeben? Nein, ist es nicht. Denn die Niederlage ist nur ein Ergebnis, nur ein Symptom und hat ganz eigene Ursachen. Die Gründe für seine Niederlage werden wahrscheinlich außerhalb des Rings liegen. Sie werden in der Zeit vor dem Kampf zu suchen sein. Möglicherweise hat er nicht richtig trainiert, ist nach seinen bisherigen Erfolgen nachlässig geworden. Oder sein Gegner hatte ganz neue Trainingsmethoden genutzt, die ihn viel besser auf den Kampf vorbereitet haben.
So sind auch auf dem Arbeitsmarkt unbesetzte Stellen lediglich Symptome. Deshalb ist es wichtig sich mit den Ursachen zu beschäftigen. Hierbei werden häufig die Digitalisierung, die Globalisierung und der demographische Wandel genannt. Diese Entwicklungen sind bekannt und lassen sich nicht umkehren. Diese Herausforderungen müssen angenommen werden. Und genau wie bei dem Boxer ist ein negatives Ergebnis lediglich das Resultat einer ungenügenden Vorbereitung.
Wandel zum Arbeitnehmermarkt
Bei allen Ursachen für einen Fachkräftemangel handelt es sich um Veränderungen der gegenwärtigen Gegebenheiten. Und für die meisten davon gibt es bereits praktikable Lösungen. Für eine Digitalisierung der Arbeitsprozesse gibt es unzählige Ansätze, allein der Mut zur Veränderung fehlt. Der demographische Wandel ist vorhersehbar und gibt sogar ausreichend Zeit sich darauf einzustellen. Lediglich die Globalisierung ist nicht für jeden greifbar, sie betrifft aber auch nicht jeden unmittelbar.
Für alle diese Veränderungen gibt es Programme, Strategien und Anwendungen. Oder sie können recht rational entwickelt werden. Doch eine Veränderung überlagert all die genannten Herausforderungen, der Wandel vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt. Ausgerechnet dafür gibt es kein Rezept, denn das Bewusstsein für diese Veränderung entsteht im Kopf.
Die Zeiten, in denen sich Unternehmen die passenden Bewerber aussuchen, sind vorbei. Das liegt zum einen an einer geringeren Anzahl von Arbeitssuchenden, aber auch daran, dass die Anforderungen an die unterschiedlichen Tätigkeiten immer spezieller werden. Nur durch Umdenken und eine Änderung der Herangehensweise bei der Mitarbeitersuche können Unternehmen weiterhin bestehen. Eine ausführliche Einschätzung zur Lage der Arbeitgeber gibt René Künstler im Interview „Der Wandel des Arbeitsmarktes“.
Verantwortung der Arbeitnehmer
Das Thema einseitig zu betrachten und den Unternehmen die Verantwortung für die Bewältigung der Herausforderungen zuzuschieben wäre, wie eingangs bereits erwähnt, nicht richtig. Auch für Arbeitnehmer bringt der Wandel des Arbeitsmarktes eine gewisse Verantwortung mit sich.
Wenn man die Unternehmen dazu auffordert, sich besser auf die Bedürfnisse ihrer Angestellten einzustellen, dann muss man im Umkehrschluss auch verlangen können, dass die Arbeitnehmer wissen was sie wollen. Das klingt vielleicht banal, ist es aber bei weitem nicht. Sich seiner Stärken und Schwächen bewusst zu sein, wirklich zu wissen was man in ein Unternehmen einbringen kann und wie man sich seinen Arbeitsalltag genau vorstellt, ist gar nicht so leicht zu beschreiben.
Also wie soll sich ein Unternehmen auf jemanden einstellen, der in Bezug auf seine Arbeit selbst nicht weiß was er will? Für mehr Impulse zu diesem Thema empfehle ich den Artikel „Gesellschaftlicher Bedeutungswandel der Arbeit“ und das Interview mit Tim Walter „Wann passen Mensch und Arbeitsplatz zusammen?“.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, der Fachkräftemangel ist keine Lüge. Er ist eine Herausforderung für alle, bei der keiner die Verantwortung dem anderen zuschieben kann. Ob nun die einzelnen Zahlen und Prognosen richtig oder falsch sind, soll nicht Inhalt dieses Beitrags sein. Denn sie sind irrelevant. Sie beschreiben nur die versäumten Anpassungen an sich ändernde Gegebenheiten. Viel wichtiger ist es umzudenken, alte Gewohnheiten loszulassen und neue Lösungsansätze zu diskutieren.
Die Unternehmen, finden keine Fachkräfte, weil sie für diese mehr zahlen müssten. Dank des Arbeitnehmermarktes der letzten Jahre, verkauft sich nicht mehr jeder Arbeitnehmer unter Wert. Es gibt genügend Arbeitskräfte und auch genügend Fachkräfte. Auch ohne die Politik von 2015 bis heute. Bestes Beispiel…Pflegekräfte: Anstatt Anreize für ambulante Pflegekräfte zu schaffen, zum Beispiel durch die Zahlung von Verpflegungsmehraufwendung durch den AG, werden die MA klein gehalten und dürfen für kleines Geld schuften bis zum Umfallen. Die AG nutzen ihre Möglichkeiten oft nicht, sind unkreativ und jammern dann, dass sich keiner bewirbt. Vetaltete Strukturen nach dem Motto ich Chef du machst tragen dann noch zu einer gewissen Unzufriedenheit bei den MA bei. Gerade ältere Unternehmensführungen können sich oft nicht von dieser Denkweise verabschieden. Es liegt auf der Hand…es muss um MA geworben werden. Und nebenbei, die Zuwanderungspolitik wird nicht so gefördert, weil wir Fachkräfte brauchen, sondern weil die Unternehmen weiterhin billige Arbeitskräfte wollen und damit psychischen Druck auf dass Stammpersonal aufbauen können. Leiharbeit und Personalleasing, also moderne Sklaverei, haben unvorstellbare Auswüchse angenommen. Soziale Verantwortung? In der Firma nebenan wurde von einer Woche auf die andere 300MA abgemeldet. Warum sich Arbeit machen…der Staat klärt das schon. Wie gut fühlt sich wohl ein MA der von einer Verlängerung zur nächsten arbeitet und ins ungewisse blickt. Siemens in Chemnitz macht das schon seit Jahrzehnten so. Projekt vorbei…alle raus….neues Projekt…jammern über Fachkräftemangel. Fest einstellen? Mh…nö… Auch nach Jahren nicht. Jede Lücke wird schamlos genutzt. Ob Ing. oder Hilfskraft. Es geht i. Den meisten Fällen nicht um Fachkräfte, es geht um ?.
Hey Matze,
danke für deinen ausführlichen Kommentar.
Wie du schon sagst, der Arbeitsmarkt hat sich vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt gewandelt. Alte Denkweisen funktionieren nicht mehr und ein “Weiter so” erst recht nicht.
Um es mit dem Beitrag zu vergleichen; all deine aufgeführten Argumente, wie Leiharbeit, niedrige Löhne usw. sind am Ende Symptome von deinem abschließenden Satz. Die Ursache für alle diese Dinge ist der Fokus auf maximalen Gewinn. Würde eine neue Fokusierung auf andere Ziele, z.B. soziale Verantwortung oder Nachhaltigkeit, die Symptome vielleicht schon beheben?
hallo Matze „Wenn du deine Arbeit ordentlich machst, kannst du hier alt werden „, das sind die Worte eines Mitarbeiters in unserer Firma. Ich sehe das als Kompliment. Sicher haben wir nicht die höchsten Löhne- aber wir zahlen ausnahmslos Tarif. Die Mitarbeiter haben Zeit, ihre Arbeit zu schaffen und wir bieten ihnen jegliche Hilfe bei auch privaten Problemen an.
Die Bezahlung und die Zeit führt natürlich auch dazu, dass wir nicht die billigsten Anbieter sind. So geht auch der eine oder andere Auftrag nicht an uns. Es ist also nicht ganz so einfach, nur über die Arbeitgeber zu schimpfen. Dies mal eine Ansicht aus Arbeitgeberseite.
Super, vielen Dank für den Kommentar. Man merkt, es ist auf beiden Seiten stets eine Gratwanderung zwischen Geben und Nehmen.
Vor allem Unterstützung über die Arbeit hinaus finde ich einen sehr interessanten Ansatz. Dies erfordert zunächst sicherlich eine entsprechende Vertrauensbasis. Fehlt diese allerdings, sollte man sich womöglich eh überlegen, ob es noch Sinn macht zusammenzuarbeiten.