Gefällt dir die Vorstellung, das Gehalt deines Kollegen bzw. deiner Kollegin aus demselben Tätigkeitsbereich zu kennen? Oder kommt ein ungutes Gefühl in dir hoch – was ist, wenn du am Ende neidisch bist? Das Thema Gehaltstransparenz wird stark diskutiert. Die einen fordern mehr Einsicht in die Gehälterverteilung der Unternehmen, die anderen denken, dass Schweigen hier immer noch Gold ist. Doch steckt hinter den undurchsichtigen Gehaltsstrukturen wirklich ein böser Unternehmensplan, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kleinzuhalten, oder muss man das Thema Gehaltstransparenz vielseitiger betrachten?
Gehaltstransparenz – was ist das überhaupt?
Dieses heiße Thema hat in den letzten Jahren an Fahrtwind aufgenommen. Gehaltstransparenz, auch Open Salaries genannt, ist die Praxis von Unternehmen, die ihre Gehaltsstrukturen offenlegen. Nach diesem Prinzip werden Gehälter nicht mehr 1 zu 1 zwischen Arbeitgeber und dem einzelnen Mitarbeitenden verhandelt, sondern nach bestimmten zuvor festgelegten Unternehmenskriterien berechnet. Vorweg: Zurzeit würde dies nicht bedeuten, dass einzelne Gehälter transparent einsehbar wären, viel mehr soll durch die Gehaltsformel ersichtlich werden, welche Gehaltsspannen in der Firma üblich sind.
Hintergrund der immer wieder aufkeimenden Diskussionen zur Gehaltstransparenz ist der Gender Pay Gap – der sehr häufig im Zusammenhang damit genannt wird. Frauen verdienen europaweit im Durchschnitt 13 Prozent weniger als ihre Kollegen. Die Überlegung: Wenn Gehälter offen einsehbar sind, ist es für Frauen einfacher, das eigene Gehalt zu verhandeln. Im Grunde geht man davon aus, dass Gehaltsverhandlungen dadurch für jeden Mitarbeitenden einfacher wären – gerade im Einstellungsprozess.
Das Gehaltstabu soll enden
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen fordern ein Ende der Geheimhaltung. Mehr als die Hälfte würde sich einen offenen Gehaltsrahmen wünschen und fast ein Drittel wäre sogar damit einverstanden, die genauen Gehaltszahlen offenzulegen. Immerhin machen es Länder wie Norwegen und Schweden vor. Jeder kann einsehen, was der Kollege oder die Kollegin verdient – und es funktioniert.
Überlegt man sich, dass Entlohnung dann fairer wird und sich der Gender Pay Gap womöglich innerhalb kurzer Zeit um ein Vielfaches verringern könnte, klingt Gehaltstransparenz nach einem Wundermittel. Denn eines ist klar, wir alle möchten gerecht entlohnt werden.
Doch die Frage ist, was ist gerecht?
Erwartete Vorteile im Überblick:
- Minimierung des Gender Pay Gap
- Leichtere Gehaltsverhandlungen für Mitarbeitende
- Faire Entlohnung
- Klarheit im Bewerbungsgespräch
- Geringes Misstrauen unter den Mitarbeitenden
Was bedeutet Gehaltstransparenz für dich?
Ist es wirklich so einfach? Brauchen wir einfach nur transparente Gehälter, um mehr Gehalt einzufordern und dem Gender Pay Gap entgegenzuwirken?
Oder liegt das Schweigen über Gehälter an einem viel wunderen Punkt begraben? Wie wäre es, einfach von selbst ganz frei über Gehaltszahlen zu sprechen? Man macht Firmen für die Undurchsichtigkeit der Gehaltsstrukturen verantwortlich – was auch stimmt –, doch im Grunde hat keiner den Mut, mit Kollegen und Kolleginnen direkt über aktuelle Gehälter zu sprechen. Selbst in Familien und unter Freunden wie Freundinnen werden Gehaltszahlen meist totgeschwiegen. Müssen wir lernen, generell freier mit diesem Thema umzugehen?
Es stellt sich auch die Frage, was stellst du mit der erwarteten Information an? Hoffst du auf einen langfristigen Anpassungseffekt, um im Allgemeinen mehr Fairness in die Gehälterverteilung zu bekommen, auch wenn das bedeutet, dass die Entlohnung in der Gesamtheit sinkt oder geht es dir viel mehr darum zu wissen, wie dein Wert im Gegensatz zu anderen eingeschätzt wird? Was würdest du tun, wenn du erfährst, dass du weniger als dein Kollege oder deine Kollegin verdienst? In einer Welt, in der alle Gehaltsstrukturen offengelegt sind, wird trotzdem nicht jeder Arbeitnehmer bzw. jede Arbeitnehmerin ein höheres Gehalt fordern können – klingt unfair, oder? Aber was ist schon wirklich fair?
Fairness bezogen auf das Thema Arbeit ist heikel. Wir fragen uns, warum Führungskräfte am Ende eines Monats mehr auf das Gehaltskonto ausbezahlt bekommen oder warum jemand mit Studium geeigneter für eine Position ist. Die Grundsatzdiskussion geht hier viel tiefer. Wie legt man fest, wer letztendlich mehr zur Wertschöpfungskette beträgt? Kann man objektiv einschätzen, wer mehr Gehalt verdient hätte oder sollten wir alle sowieso das Gleiche ausbezahlt bekommen?
Gehaltstransparenz in der Kritik
Es gibt auch Kritiker. Studien haben gezeigt, dass offengelegte Gehaltsstrukturen das Gehaltsniveau im Unternehmen im Allgemeinen senken. Im Durchschnitt werden die Löhne um sieben bis neun Prozent nach unten gedrückt. Wird einer Gehaltsforderung nachgegangen, ist das Risiko für das Unternehmen groß, dass auch andere Mitarbeitende ihre Gehälter erhöhen möchten. Selbst der Gender Pay Gap wird sehr wahrscheinlich nur dadurch geringer, dass Männer im Durchschnitt einfach weniger verdienen und sich die Gehälter dadurch angleichen.
Außerdem demotiviert eine unterdurchschnittliche Entlohnung. Beobachtungen zeigen, dass in Firmen mit Gehaltstransparenz die Motivation der weniger verdienenden Mitarbeitenden sank. Zuvor war das ganz anders. Wenn Gehälter von Kollegen und Kolleginnen höher eingeschätzt wurden, wirkte das als Ansporn, die Karriereleiter nach oben zu klettern. Betrachtet man Studien, sieht man, dass Personen, die sich ungerecht bezahlt fühlen, auch viel schneller an Burn-out, Depression, Diabetes, Bluthochdruck erkranken – gerade bei Frauen zeigt sich das sehr deutlich.
Erwartete Nachteile:
- Demotivation von Mitarbeitenden
- Durchschnittlich niedrigere Löhne
- Gender Pay Gap minimiert sich durch sinkende Löhne der Männer
- Erkrankung durch ungerechte Bezahlung
Die Diskussion zum Thema Gehaltstransparenz zeigt deutlich die wunden Stellen der Arbeitswelt. Allerdings setzt das Problem der häufig ungerechten Bezahlung an anderen Punkten an. Wie bewertet man überhaupt Fairness im Job und wie kann man den Wert eines Mitarbeitenden wirklich bestimmen? Die Lösung liegt an ganz anderer Stelle. Ganz nach dem Motto New Work sollte man über die Einführung von New-Pay-Systemen nachdenken, bei denen zum Beispiel jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin das gleiche Gehalt bekommt und dieses sich am allgemeinen Unternehmenserfolg orientiert. Man arbeitet also nicht, um allein Erfolge einzufahren, sondern gemeinsam an Unternehmenszielen, die auf lange Frist mehr Entlohnung und Zufriedenheit versprechen. Vielleicht brauchen wir aber gar die Gehaltstransparenz, um uns in diese Richtung zu entwickeln – damit es nicht mehr heißt „Wie lasse ich mein Gehalt möglichst schnell ansteigen“, sondern „Wie finde ich Erfüllung in meiner Tätigkeit auch ohne stark ansteigende Gehälter“.