„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ – Ein Glaubenssatz mit dem wohl die meisten von uns aufgewachsen sind. Über viele Jahrzehnte hatte dieses Gebot mit Sicherheit seine angemessene Berechtigung, jedoch hat sich die Definition von Arbeit seither massiv verändert. Beim Gedanken an Arbeit reduziert sich unser Bild mittlerweile hauptsächlich auf Lohnarbeit, also auf die Arbeit, für die wir das für unseren Lebensunterhalt erforderliche Geld bekommen. Arbeit im Haushalt, familiäre Arbeit oder ehrenamtliche und kreative Arbeit findet keinen Platz mehr in diesem Bild und verliert an Wahrnehmung. Deshalb lohnt es sich unser Bild von Arbeit näher zu beleuchten und ob mit Lohnarbeit eine 15-Stundenwoche möglich ist.
Der Ursprung der Lohnarbeit
Im antiken Griechenland sowie im antiken Rom wurde bereits ein Großteil der schweren und eintönigen Arbeit auf Äckern, in Bergwerken und Steinbrüchen sowie auf Baustellen von zwei gesellschaftlichen Gruppen geleistet, von den Sklaven und den Lohnarbeitern.
Sklaven galten als verkaufbare und rechtlose Gegenstände ihrer Besitzer und wurden als bloße Hilfskraft zur Verrichtung der Arbeit angesehen. Sie mussten tagtäglich das tun, was von ihnen verlangt wurde. Lohnarbeiter galten hingegen juristisch gesehen als frei. Aus ökonomischer Sicht, und zwar aus Mangel an Boden und Produktionsgütern, waren sie jedoch ebenfalls gezwungen, ihre Arbeitskraft an Besitzende zu verkaufen.
Im Zuge der industriellen Revolution Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die landwirtschaftliche und handwerkliche Produktion zunehmend von der industriellen Produktion verdrängt. Auf Grund der rasanten Entwicklung zur industriellen Produktionsweis und den damit tiefgreifenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, ist der Begriff der Revolution durchaus angebracht.
Die durch wissenschaftlichen und technischen Fortschritt in Gang gesetzte industrielle Revolution ging dann schließlich in die lange Phase der Industrialisierung, also die Ausbreitung industrieller Produktionsweisen in Europa und den USA über. Um den dadurch entstandenen Bedarf an Menschen für die Bedienung von Maschinen zu decken, zogen Tausende vom Land in die Städte.
In diesem massiven gesellschaftlichen und sozialen Wandel entstand vor allem in den Städten die noch heute am stärksten verbreitete Klasse der Lohnarbeiter. Natürlich steht heute nicht mehr jeder an einer dampfenden Maschine. Das Prinzip der Lohnarbeit hat sich mittlerweile auch auf die Landwirtschaft und den Dienstleistungssektor ausgebreitet.
Die Kritik an der Lohnarbeit
Die Anstellung von Lohnarbeitern muss sich betriebswirtschaftlich lohnen. Andernfalls wäre das Unternehmen nicht konkurrenzfähig am Markt und müsste schließen. Soweit verständlich und auch nachvollziehbar. Dieses Prinzip ist gesellschaftlich anerkannt und die Lohnarbeit wird weitestgehend als Standard angesehen. Und genau deshalb lohnt es sich etwas genauer zu beleuchten, wann sich die Anstellung von Lohnarbeitern lohnt.
In der Produktion
Die Beschäftigung von Lohnarbeitern lohnt sich nur, wenn von den produzierten Gütern ein Teil beim Unternehmen bleibt.
Angenommen man produziert als Arbeitnehmer Pullover. Man selbst benötigt im Jahr vielleicht vier Stück davon, zwei Dicke für den Winter, einen Dünnen für den Sommer und noch einen für Frühling und Herbst. An einem durchschnittlichen Arbeitstag schafft man es aber ganze acht Pullover zu fertigen. D.h. man produziert an einem einzigen Arbeitstag doppelt so viele Pullover wie man eigentlich in einem ganzen Jahr bräuchte. Und über diese sogenannte Mehrprodukt kann nun das Unternehmen verfügen und es gewinnbringend verkaufen.
Bei der Arbeitszeit
Die Beschäftigung von Lohnarbeitern lohnt sich nur, wenn der Lohnarbeiter nicht nur zur Erstellung der selbst benötigten Produkte arbeitet, sondern auch unentgeltlich darüber hinaus.
Das Unternehmen würde große Augen machen, wenn man mittags einfach geht, nachdem man seinen Eigenbedarf an vier Pullovern gedeckt hat. Also fertigt man weiter fleißig Pullover, schließlich wird man auch für den ganzen Tag bezahlt. Und eben genau weil man Geld für den ganzen Tag bekommt, wird das unentgeltliche Arbeiten für das Unternehmen verschleiert.
Beim erschaffenen Wert
Die Beschäftigung von Lohnarbeitern lohnt sich nur, wenn von dem geschaffenen Wert ein Teil als Mehrwert beim Unternehmen bleibt.
Ein Unternehmen hat neben den anfallenden Lohnkosten auch noch weitere Ausgaben, wie Miete, Abschreibungen und Instandhaltungskosten zu decken. Angenommen all diese Kosten sind jeden Tag exakt so hoch, wie der Verkauf von sieben Pullovern wieder einbringt. Folglich muss das Unternehmen auch den achten Pullover noch verkaufen, damit es einen Gewinn erzielt und sich wirtschaftlich lohnt.
Soweit so nachvollziehbar, irgendwie muss sich ein Unternehmen ja auch rechnen. Warum sollte man sich sonst die ganze Mühe machen? Aber ebenso deutlich lässt sich daran auch erkennen, dass man am Ende einen Teil an Arbeit leistet, von der man selbst nichts hat. Natürlich geht es in der westlichen Welt den allermeisten mit dieser Art der Arbeit so gut, dass zumindest ausreichend Essen und ein Dach über dem Kopf vorhanden ist.
Lohnarbeit soll mehr sein
Die Befriedigung der absoluten Grundbedürfnisse kann aber kaum der Anspruch an das Ergebnis einer Arbeit sein. Arbeit muss mehr sein und folglich lässt sich ein gesellschaftlicher Bedeutungswandel der Arbeit erkennen. Demnach spricht man heute auch nicht mehr von Lohnarbeit, sondern von Erwerbsarbeit, bzw. Erwerbstätigkeit. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt dieses „Mehr“ der Arbeit wie folgt:
„…Erwerbstätigkeit ist auch ein Wert für sich, da sie es den Menschen ermöglicht, eine als mehr oder minder sinnvoll und interessant empfundene Arbeit zu verrichten, Kontakte mit anderen Menschen herzustellen und zu pflegen oder auch einfach den Tag sinnvoll zu strukturieren. Das individuelle Selbstwertgefühl ist mit dem erlernten bzw. ausgeübten Beruf im Erwerbsleben ebenso verbunden wie der soziale Status und das gesellschaftliche Ansehen des Einzelnen…“
Und genau das funktioniert in aller Regel nicht und führt dazu, dass sich 85% aller Arbeitnehmer nicht mit dem eigenen Unternehmen identifizieren. Arbeit um ihrer selbst Willen, also arbeiten, um zu arbeiten, hat an sich keinen Wert. Der Glaube, dass Arbeit an sich einen persönlichen Mehrwert schafft, ist ein Grund, warum wir keine 15-Stunden-Arbeitswoche haben.
40 Stunden für den Mehrwert
Das Arbeit an sich als persönliche Befriedigung wahrgenommen wird, funktioniert nur in den seltensten Fällen. Es funktioniert immer genau dann nicht, wenn man weiß, ob bewusst oder unbewusst, dass man von dem Großteil seiner geleisteten Arbeit selbst nichts hat. Man kann noch so gern Pullover herstellen. Wenn man selbst nur vier Stück braucht, wozu sind dann all die anderen gut?
Natürlich bekommt man am Ende vom Monat sein Gehalt für die geleistete Arbeit ausgezahlt. Aber Gehalt, auch wenn dies regelmäßig steigt, funktioniert nur kurzfristig als Motivation und fühlt sich schnell wieder als Standard an. Somit sucht man sich häufig die bei der Arbeit ausbleibende Befriedigung im Konsum. Den meisten wird das tolle Gefühl bekannt sein, wenn man sich gerade etwas Neues gekauft hat. Aber auch wie schnell es wieder weg ist.
Bereits 1930 sagte der Ökonom John Maynard Keynes voraus, dass im Jahre 2030 die 15-Stundenwoche normaler Standard sein wird. Was er dabei allerdings nicht bedacht hat, ist die Tatsache, dass wir als Gesellschaft unersättlich sind und nicht genug kriegen. Würden wir so leben wie unsere Großeltern, also ohne Kaffeevollautomat, Heimkino und Zweitfahrzeug vom Premiumhersteller, wäre eine 15-Stundenwoche hier und heute möglich.
Mit weniger zur 15-Stundenwoche
Das Problem ist, dass, wie oben beschrieben, das Unternehmen unbedingt noch den achten Pullover verkaufen muss, um rentabel zu sein. Somit wird uns mit viel Werbung und Co. suggeriert, was wir alles noch brauchen und kaufen müssen, um endlich zufrieden zu sein. Dabei ist nichts so leicht zu entwerten wie materielle Dinge. Spätestens wenn der Nachbar ein neueres Auto in die Einfahrt fährt, kommt einem das eigene nicht mehr so besonders vor.
Dieser Kreislauf scheint zunächst unüberwindbar zu sein, dennoch kann man etwas tun, um ihn zu durchbrechen. Einige Unternehmen beginnen bereits damit, Werte und Ziele für sich zu definieren, die sich nicht ausschließlich auf den Gewinn fokussieren. Somit ergibt sich auch für die Arbeitnehmer ein greifbares Ziel, für dessen Erreichung sie arbeiten. Die Arbeit bekommt einen Wert.
Aber auch für sich selbst kann man überlegen, was man wirklich braucht. Muss es tatsächlich noch der achte Pullover sein, der irgendwie bezahlt werden muss? Oder genügen nicht doch vier oder fünf? Ist das was man selbst hat plötzlich wirklich nichts mehr wert, nur weil jemand anderes etwas anderes hat?
Wenn wir anfangen, zu prüfen was wir wirklich brauchen und dann auch nur noch das produzieren, was wirklich gebraucht wird, dann kann Arbeit auch das sein, was man wirklich will. Dann ist diese Arbeit auch in einer 15-Stunden-Arbeitswoche zu schaffen und wir kommen der tatsächlichen Idee von New Work ein Stück näher.