Ein Gastbeitrag von Unternehmensberater und Dozent Ralf Wendland
Um es vorweg zu nehmen, der nachfolgende Artikel stellt keine Generalabrechnung mit einem veralteten System dar. Vielmehr soll ein skalierbares System für KMUs bis hin zu multinationalen Konzernen vorgestellt werden. Dieses kommt lediglich mit einer Führungsebene (Instanz) aus und stellt endlich den Kunden in den Mittelpunkt. Ganz nebenbei führt es mittelfristig auch noch zu erheblichen Kosteneinsparungen. Es zeigt, wie sinnvoll flache Hierarchien für den Wandel der Arbeitswelt sind.Aus der Zeit gefallene Führungssysteme
In Gesprächen mit Beschäftigten auf allen Ebenen habe ich in den letzten Jahren eine wachsende Unzufriedenheit festgestellt. Kritisiert wird u.a., dass sich Betriebsorganisation und Führungssysteme nicht ausreichend angepasst haben. Sie entsprechen nicht mehr der betrieblichen Realität. Den stetig wachsenden Anforderungsprofilen stehen keine gestiegenen Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen gegenüber. Auch persönliche Gründe, z.B. das Verhältnis zwischen Leitungs- und Ausführungsebene, wirken sich negativ auf die Zusammenarbeit aus. Und letztlich leidet auch der Betriebserfolg. Aussagen wie: „Ich werde nicht fürs Denken, sondern Arbeiten bezahlt.“, muten wie eine Botschaft aus längst vergangenen Tagen an. Seit dem von Frederick Winslow Taylor entworfenen Funktionsmeisterprinzip hat es sicherlich viele Ansätze gegeben, Strukturen zu schaffen für Organisation, Führung und Kommunikation in größeren Organisationen. Beispielhaft seien nur Stablinien- oder Matrixstrukturen, Harzburger bzw. St. Gallener Führungsmodell genannt. Ihnen allen gemein ist aber, dass sie ein klassisches hierarchisches System beibehalten wollen. Dieses fußt auf altbekannten militäristischen Befehlsketten. Die waren ideal für Aufstiegskarrieren, solange es tiefe Strukturen gab. Mit Einführung von Teamarbeit bzw. autonomen Gruppen, flacheren Hierarchien etc. finden wir nur noch selten diese persönliche Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Unternehmen. Vertreter des mittleren Managements äußerten sich besorgt, dass sie sich nur noch als Prellbock zwischen Topmanagement und der ausführenden Ebene sehen. Eilig eingeführte Teamstrukturen in den 80 / 90er Jahren sorgten für deren Negativimage. Oft hörte man, dass das Akronym TEAM für „Toll Ein Anderer Macht’s“ steht. Ebenso frustrierend sind etliche Versuche verlaufen, mit agilen Methoden wie SCRUM frischen Wind in die verkrusteten Strukturen zu bringen. Fragen Sie doch mal Beschäftigte in Unternehmen, wie die betriebliche Führung mit den Visionen bzw. Missionen harmoniert. Oder wie sich Leitbilder in den Zielvereinbarungen mit Vorgesetzten widerspiegeln.Lange Wege ohne Flexibilität
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf bestehende Planungssysteme mit den oft mühsam erstellten Jahresbudgets. Spätestens seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass Planungszeiträume von ein bis drei Jahren viel zu lang sind in der heutigen Zeit. Per Mausklick werden täglich unvorstellbare Geldsummen teils automatisch von Programmen um den Globus geschickt. Dadurch wird so manche Planung über den Haufen geworfen. Diesem Umstand trägt das mit dem Akronym „VUCA“ bezeichnete Modell Rechnung. (VUCA = “volatility” (“Volatilität”), “uncertainty” (“Unsicherheit”), “complexity” (“Komplexität”) und “ambiguity” (“Mehrdeutigkeit”). Neben der Erwartung von sich rasch ändernden Umfeldfaktoren, mahnt es zur Flexibilität und schnellen Anpassungen an sich neu ergebende Situationen. Aber auch die Personalarbeit stößt langsam an ihre Grenzen. Dabei ist der Fachkräftemangel nur ein Aspekt. Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Sollen wirklich zentrale Personalabteilungen weiterhin für Recruiting und Vorauswahl zuständig sein? Verfolgen wir zukünftig Work-Life-Balance oder Work-Life-Integration, also keine scharfe Trennung zwischen Beruf und Privatleben? Eine Frage, die z.B. in der Facebook-Gruppe „Der Mensch im Mittelpunkt“ diskutiert wird. Nimmt man die zuvor genannten Kritiken ernst, bleibt keine andere Wahl, als einen grundlegenden Wandel zu vollziehen. Ausgehend von dem Gedanken, dass Menschen frei geboren werden, sollten sie auch beruflich eine größtmögliche Freiheit genießen. Mit anderen Worten, betriebliche Führung muss neu definiert werden. Hierarchische Strukturen, festgelegte Kommunikationswege oder Führung per System, wie es diverse Management by-Methoden vorschreiben, sind nicht mehr gefragt. Diese engen nur ein und bieten kreativen Lösungen keinen Raum. Gebraucht wird ein sich selbst steuerndes System, dass endlich Kunden ins Zentrum der Betrachtung stellt. Externe wie interne Kunden profitieren davon, dass sie endlich von allen Beteiligten wahrgenommen werden.Organismus statt Organigramm
Offene Strukturen, die eher einem Organismus bzw. einem Uhrwerk ähneln, geben den Beschäftigten das Gefühl, das ihre Mitarbeit wertvoll und gefragt ist. So wie es in so mancher Worthülse heutzutage postuliert, aber nicht gelebt wird („Mitarbeiter sind der wichtigste Aktivposten“ o.ä.). Wie in einem Uhrwerk jedes Rädchen eine Funktion ausübt, könnten funktionale Teams von drei bis neun Beschäftigten autark agieren. In diesen Gruppen ist kein Platz für hochdotierte Führungskräfte, die Ziele von oben herab herunterbrechen oder gar egoistische eigenen Ziele verfolgen. Spart ein KMU beispielsweise fünf Abteilungsleiter mit einem Gehalt von TEUR 60 -100 zzgl. Lohnnebenkosten ein, stehen jährlich TEUR 300 – 500 für Investitionen, Rücklagen oder Gewinnbeteiligungen zur Verfügung. Ohne dass ein Service-Level leidet! Unternehmerische Ziele werden aus den Gruppen heraus definiert oder – in Form eines KANBAN-Systems – von außen (betriebliches Umfeld, Stakeholder, andere Gruppen) an ein funktionales Team herangetragen. Dafür werden Spezialisten und Generalisten gebraucht. Diese verfügen über tiefe Einblicke in den eigenen Aufgabenbereich, aber auch mit Weitblick über den oft zitierten Tellerrand hinausblicken. Lediglich eine von der Gruppe selbst festgelegte Aufgabenverteilung (Zielentwicklung, Moderation, Schnittstellenarbeit zu anderen Gruppen usw.) sorgt für eine gewisse gruppeninterne Struktur. Wichtig für das Gelingen ist eine intensive und regelmäßige Kommunikation, ohne stundenlange Meetings. Mehrere gleich gestaltete Gruppen bilden schließlich das „betriebliche Uhrwerk“. Diese Struktur ist durchgängig bis zur Unternehmensspitze, die aus rechtlichen Gründen, in erster Linie wegen betrieblicher Haftung, nicht ersetzt werden kann. Trotzdem ist sie aber nur Teil einer speziellen Gruppe und fungiert quasi als Unruhe des Uhrwerks. Dort arbeitet sie mit den Vertretern anderer Gruppen eng zusammen und gestaltet den Rahmen für die weitere Unternehmensentwicklung.Verantwortung und Freiheit für mehr Flexibilität
Ausgestattet mit maximaler Freiheit und Entscheidungsbefugnis, planen, steuern und kontrollieren die Teams in kurzen Zyklen permanent ihren Aufgabenbereich. Auf Veränderungen können sie so unmittelbar reagieren, ohne langwierige Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse abwarten zu müssen. Budgets werden selbst verwaltet. Die Personalauswahl obliegt ihnen allein. Fragen der Verteilung von Erfolgsprämien für die Teammitglieder werden dort ebenso beantwortet wie solche im Zusammenhang mit der Aufgabenverteilung oder der Weiterbildung einzelner Personen. Regelmäßig, mindestens einmal pro Monat, trifft sich die Gruppe zwecks Optimierung der internen Prozesse sowie der Zusammenarbeit mit den anderen Teams. Intern bestimmte Teammitglieder sorgen für eine reibungslose Aufgabenerledigung bzw. einen intensiven Informationsaustausch mit anderen Teams. Was hier so exotisch anmutet, ist für viele Start up – Unternehmen überhaupt kein Thema mehr. Bestehende Organisationen derartig zu verändern, bedarf aber einer gewissen Zeit, um nicht ähnlichen Frust zu erzeugen wie so manches Change Management – Projekt. Auch sollte nicht der Versuch unternommen werden, aus puren Kostenerwägungen, diesen Prozess alleine durchzuführen. Externe Berater, die in das betriebliche Geschehen integriert werden, haben einen ganz anderen Blick auf bestehende Prozesse bzw. Strukturen. Zu viele Unternehmen haben derartig ambitionierte Projekte eingestellt und sind reumütig zur klassischen Firmenhierarchie zurückgekehrt. Bei ihnen dürfte auf Jahre hinaus der Wunsch nach Veränderungen verebbt sein. Fakt ist aber, je länger dieser Wandel nicht angepackt wird, umso mehr werden andere Länder uns den Rang ablaufen für die Zukunft. Wollen wir das?Ralf Wendland
Als Unternehmensberater sowie Dozent für BWL, Unternehmensführung und Projektmanagement versucht Ralf stets, wirtschaftliche Aspekte mit moderner Personalarbeit zu verbinden, zum Wohle der Unternehmen und seiner Beschäftigten.
Hallo,
ich fand es interessant zu lesen. Kann aber nicht viel sagen, habe dafür kein Fachwissen und erfahrun. Abergut das du das ansprichst.
LG
Julia
Danke für den Beitrag..regt zum Nachdenken an – interessante Sichtweise! LG cookingCatrin
Ein sehr interessanter Beitrag. Mich würde sehr interessieren, wie das bei den benannten TOP-Managern ankommt. Ich war selbst kurze Zeit im mittleren Management tätig und kann mit vorstellen, dass der Artikel auch dort nicht nur Zustimmung und Lob ernten wird. Auf jeden Fall ein guter Ansatz, der im öffentlichen Dienst in einigen Institutionen partiell umgesetzt wird bzw. sich in Umsetzung befindet.
Hallo Jens,
ich gehe fest davon aus, dass der Vorschlag auch auf Ablehnung stoßen wird. Allerdings gibt es keine Veränderungen ohne das man dabei jemanden verärgert. Denn bei jeder Veränderung fallen alt bekannte Muster weg und dann greift der Reflex des “erhalten wollens”.
Von daher sollte man das übergeordnete Ziel, effizient und produktiv sein, im Auge behalten und nicht auf einzelne Befindlichkeiten Rücksicht nehmen.
Kurz gesagt, der Ansatz wird nicht bei allen auf Zustimmung stoßen, da mittelfristig sämtliche Hierarchieebenen wegfallen werden. Das Top-Management wird vielleicht versöhnlich reagieren, da dies eine hohe Kosteneinsparung mit sich bringt. Auch auf der ausführenden Ebene werden nicht alle begeistert sein, wenn sie plötzlich ausführen und entscheiden sollen. Aber der Weg in die Zukunft führt über einen radikalen Wandel in der Arbeitswelt. Kleine Veränderungen werden kaum wahrgenommen. Momentan leite ich einen SCRUM Master – Kurs. Nach anfänglicher Skepsis haben sich schon viele Teilnehmer positiv geäußert. Wir müssen den Wandel zulassen und ihm eine Chance geben!