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Berufspendeln – eine Verschwendung von Kapazitäten?

Berufspendeln – eine Verschwendung von Kapazitäten?

Inhaltsverzeichnis

Berufspendeln gehört häufig zum guten Ton der Arbeitswelt. Es signalisiert eine hohe Belastbarkeit und Einsatzbereitschaft der Arbeitnehmer für das Unternehmen. Ab wann zählt man zu den Pendlern? Und ist es wirklich sinnvoll diesen hohen Aufwand zu betreiben? Führt es am Ende wirklich zu einer besseren Arbeit? Das erfährst du hier im Beitrag: Berufspendeln – eine Verschwendung von Kapazitäten.

Welcher Typ Berufspendler bist du?

Es gibt zahlreiche Definitionen, die einen Berufspendler beschreiben können. Aber die meisten lassen sich auf eine einfache Aussage herunterbrechen: Berufspendler müssen für ihre Arbeit den Wohnort verlassen. Und das betrifft, bei steigender Tendenz, immerhin 60% aller Arbeitnehmer. Je nachdem wie dieser Spagat zwischen Wohnung und Arbeitsort gestaltet wird, gibt es unterschiedliche Modelle für Pendler:

  • Fernpendler
  • Wochenendpendler
  • Umzugsmobile
  • Varimobile
  • Fernbeziehungen

Während die drei letztgenannten eher als exotisch und selten angesehen werden können und sich der Wochenendpendler quasi selbst definiert, lohnt es sich beim Fernpendler etwas genauer hinzuschauen. Denn ab wann gilt man eigentlich als Fernpendler?

Wie der Name nahelegt, kann die Einteilung anhand der Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort vorgenommen werden. Häufig findet man 20 km oder 50 km pro Strecke als Grenze zwischen Nah- und Fernpendler. Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, ob man seinen Arbeitsweg im Stop-and-go durch verstopfte Innenstädte oder mit freier Fahrt über die Autobahn zurücklegt.

Dr. Steffen Häfner, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, u.a. mit Fokus auf Verkehrsmedizin und Chefarzt der MediClin Baar Klinik nimmt aus diesem Grund die für den Arbeitsweg benötigte Zeit als Gradmesser. Ab einer Dauer von 45 Minuten je Strecke zählt man nach seinen Erkenntnissen zu den Fernpendlern. Und das betrifft bereits mehr als jeden vierten Arbeitnehmer.

Das scheint auf den ersten Blick überschaubar und akzeptabel. Schließlich wird ein täglicher Arbeitsweg von insgesamt zweieinhalb Stunden als hinnehmbar eingestuft. Doch schon bei einer Wegzeit von 30 Minuten verbringt man somit in einem durchschnittlichen Arbeitsjahr fast zehn ganze Tage damit zu pendeln.

Stress Burnout

Gesundheitliche Folgen des Pendelns

Pendeln macht krank. Das klingt zwar hart, aber so viel lässt sich tatsächlich schon vorwegnehmen. Die tägliche Pendelei zur Arbeit und zurück verursacht ein deutlich erhöhtes Stressaufkommen mit gravierenden Folgen auf unterschiedlichen Ebenen.

Physische Folgen

Mangelnde Bewegung und ein ungesundes Essverhalten prägen häufig den Pendleralltag. Ausgewogene Mahlzeiten werden durch schnelle, oft zucker- oder fetthaltige Snacks ersetzt und für regelmäßige körperliche Bewegung fehlt die Zeit. Oftmals führen diese Gewohnheiten zu Übergewicht, Rückenschmerzen sowie Beschwerden im Schulter- und Nackenbereich.

Durch den erhöhten Zeitaufwand sind Pendler zudem permanent einem Kampf mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus ausgesetzt. Erholsamer Schlaf ist oft nicht ausreichend vorhanden. Genau dieses Defizit geht dann mit Tagesmüdigkeit, Erschöpfung, Kopfschmerzen und Bluthochdruck einher.

Psychische Folgen

Häufig auftretende Schlafstörungen können bei Pendlern auf eine Vielzahl unterschiedlicher Ängste zurückgeführt werden. Der Druck pünktlich anzukommen ist permanent vorhanden. Staus, Wettereinflüsse und verpasste Anschlusszüge können kaum kontrolliert werden. Dadurch bilden sie einen kontinuierlichen Stressfaktor.

Soziale Folgen

Nicht nur körperlich und geistig, sondern auch aus sozialer Sicht mutet sicher ein Pendler sehr viel zu. Denn häufig leidet das Sozialleben unter dem hohen Zeitaufwand. Wie bereits beschrieben, fehlt häufig die Zeit für das Familienritual des gemeinsamen Essens. Dadurch findet ein kommunikativer Austausch in der Familie nur noch unregelmäßig oder gar nur noch über gemeinsame Kalender und Pinnwände statt.

Sämtliche Freizeitaktivitäten mit Familie und Freunden, aber auch notwendige Erledigungen werden dabei in aller Regel auf das Wochenende verschoben. Oftmals sind diese schon auf Monate hin durchgeplant. Somit wird das Wochenende überfüllt und es entsteht erneuter Stress. Der erholsame und regenerative Effekt eines Wochenendes verpufft.

Verschwendung von Kapazitäten

Ganz nüchtern betrachtet ist die allgemeine Erwerbsarbeit der Tausch von Arbeitskraft gegen Entlohnung. In aller Regel bedeutet dies, man verkauft seine Arbeitskraft für 35 bis 40 Stunden pro Woche. An dem lässt sich so viel nicht ändern. Was man in dieser Zeit allerdings leistet und erreicht, kann durchaus beeinflusst werden.

Ist man gesund, ausgeschlafen und nicht gestresst, wird die wöchentliche zur Verfügung stehende Kapazität an Arbeitskraft stärker ausgeschöpft. Aufgaben können konzentrierter und somit sorgfältiger erledigt werden. Oftmals bleibt dann sogar ausreichend Energie übrig, um sich voll und ganz mit eigenen Impulsen in das Unternehmen einzubringen.

Als Berufspendler ist dieser Zustand jedoch sehr schwer zu erreichen. Man kann sogar sagen, je länger der Arbeitsweg desto größer die gesundheitlichen Beschwerden. Dadurch steigen nicht nur die krankheitsbedingten Fehltage, auch die Leistungsfähigkeit sinkt. Das heißt, in der verfügbaren Arbeitszeit wird weniger Leistung abgerufen und somit Kapazität verschwendet.

Betrachtet man einen durchschnittlichen Arbeitstag, so kommen bei Pendlern auf die eigentlichen acht Arbeitsstunden noch eine Stunde unbezahlte Pause und mindestens anderthalb Stunden Fahrzeit obendrauf. Bei siebeneinhalb Stunden Schlaf bleiben folglich nur sechs Stunden für Familie, Freizeit und Haushalt.

Dieses permanente Aufeinanderfolgen von Ereignissen und Terminen führt einen unweigerlich in das häufig beschriebene Hamsterrad. Für eine Weile ist dies mit Sicherheit zu stemmen. Gerade am Anfang eines neuen Arbeitsverhältnisses ist die Motivation noch hoch. Doch nachhaltig ist das nicht. Die Identifikation mit dem Arbeitgeber sinkt und führt unweigerlich zu Frustration. Die Folgen habe ich in Fehlende Identifikation in Unternehmen – Eine Verschwendung von Potenzialen beschrieben.

Was dagegen tun?

Pendeln ist keinesfalls generell schlecht und zu verdammen. Aber das eigene Pendelverhalten sollte stets hinterfragt werden. Ist der Aufwand den dadurch erzielten Nutzen auch wert? Muss ich wirklich jeden Tag so viel Zeit im Auto oder im Zug verbringen?

Home-Office ist beispielweise eine praktikable Alternative und bietet einige Vorteile auch in Bezug auf die Effektivität. In Zeiten von Corona haben viele Unternehmen und Arbeitnehmer gelernt, dass mobiles Arbeiten funktionieren kann. Und ein paar Tage pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten bringt eine deutliche Entlastung. Wozu jeden Tag ins Büro fahren?

Außerdem sollte bei der Betrachtung der Arbeitssituation das Gesamtpaket berücksichtigt werden. Oftmals werden weitere Wege in Kauf genommen, wenn das Gehalt dadurch höher ist. Doch der Schein trügt. Bezieht man seinen Fahraufwand mit ein, lohnt es sich vielleicht gar nicht mehr so sehr. Bekommt man bei einer 40 Stunden-Woche 20 Euro pro Stunde, so bleibt bei einem Zeitaufwand von 50 Stunden lediglich ein Stundenlohn von 16 Euro.

Und dann ist natürlich noch der Faktor Zeit zu berücksichtigen. Bekommt man seinen hohen Aufwand auch noch so gut vergütet, die aufgewendete Zeit bekommt man niemals zurück. Wie viel ist einem die eigene Zeit wert? Sodass es unterm Strich oftmals besser ist, sich eine Arbeit in Wohnortnähe zu suchen.

Man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass man bei der Erwerbsarbeit seine Arbeitskraft verkauft. Dementsprechend viel Wert ist auf die Regeneration dieser Ressource zu legen. Es ist ähnlich wie bei einem Auto. Man wartet es, schafft es regelmäßig zur Inspektion und hält es in Schuss. Klar, mit genug Geld kann man einfach ein Neues kaufen. Mit der eigenen Zeit und Gesundheit geht das allerdings nicht.

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Dr. Annette Pitzer
4 Jahre zuvor

Umdenken ist angesagt. Ich habe noch nie verstanden, dass man sich so etwas zumutet. Es ist in Zeiten der Vollbeschäftigung ja auch gar nicht nötig. Ob das nach dem Shutdown allerdings auch noch so sein wird? Immerhin haben dann einige das Homeoffice kennen und vielleicht auch schätzen gelernt.
Alles Liebe
Annette

Jürgen
4 Jahre zuvor

Ein sehr guter Beitrag. Einer, der wieder den täglichen Job-Wahnsinn von Millionen Menschen vor Corona verdeutlicht.

Ich bin früher auch viele Jahre gependelt, was mich jeden Tag mind. 2 bis 3 Stunden Lebenszeit gekostet hat. Irgendwann hatte ich von der Pendelei, meinem Job und meinem ganzen Arbeitsleben die Schnauze voll, so dass ich gekündigt habe. Die Lösung war eine Selbstständigkeit, bei der ich zu 95% per remote arbeiten kann.

Frei über meine Zeit zu bestimmen, sie nicht sinnlos zu verschwenden – diesen Luxus möchte ich nicht mehr aufgeben. Auch wenn das bedeutet, in schlechten Zeiten weniger zu verdienen. Dafür kann ich mehr für meine Tochter da sein. Das ist wichtiger!

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